„…,Danilo Kjuhn-passed Nidan,…“
Langsam ausatmen und jetzt bloß nicht laut losschreien vor
Glück! Der Meteorit, der die Dinos vernichtet hatte, ist lächerlich gegen den
Stein, der mir in diesem Moment vom Herzen gefallen ist! Wenig später klatschen
Dirk und Pierre Leiding Beifall und kommen lächelnd auf mich zu, um als Erste
zu gratulieren. Die Anspannung macht der Erleichterung und Freude in mir Platz.
Die nächste halbe Stunde tippe ich die neuste Nachricht aus meinem Leben in
mein Mobiltelefon und schicke ca. 30 SMS in die ganze Welt – schließlich hatte
es sich rumgesprochen, dass ich bei Ohta Sensei Prüfung machen werde.
7,25 Stunden vorher, gegen 10:45 Uhr
Ob ich aufgeregt bin? Nein Dirk, ich habe nur ein komisches
Gefühl in der Magengegend. Nichts Ungewöhnliches und noch bestens bekannt aus Schulzeiten
vor Klausuren. Mit 36 Jahren hat man doch seine Gefühle unter Kontrolle und hat
schon einige Prüfungen hinter sich! Außerdem ist noch viel Zeit…
7,00 Stunden vorher, gegen 11:00 Uhr
Training bei Hirayama Sensei. Prima, ich stell mich am
besten in die letzte Reihe und mach ein bißchen mit. Nicht zu viel, denn ich
brauche die Kraft ja noch. Mitmachen nur um warm zu bleiben. Beim Namen der zu
übenden Kata für die nächsten 1,5 Stunden ändert sich diese Einstellung jedoch
schlagartig: Jion, meine Prüfungskata. Also beim nächsten Absitzen nach vorn
mogeln und möglichst nah an Hirayama Sensei heran. Glückstreffer, denn eine
bessere Einheit vor der Prüfung ist nicht möglich. Allerdings auch kraftraubend,
denn Hirayama Sensei könnte mir ja gerade in diesem Moment zusehen und einen
schlechten Eindruck von mir bekommen.
5,50 Stunden vorher, gegen 12:30 Uhr
Geschafft, die Kata sitzt und die Schwerpunkte wurden
nochmal eingetrichtert. Die nächste Einheit wird aber ruhiger angegangen!
Schnell noch etwas essen, einen Schluck Chlorwasser aus dem englischen
Wasserhahn und wieder in die letzte Reihe für die nächste Einheit mit Tsuyama
Sensei. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters wird er uns bestimmt viel von
seiner Technikerfahrung erzählen wollen. Also absitzen und zuhören? Nix da, konditionelles
Partnertraining ist angesagt. Tsukis und Geris auf Zeit so schnell man kann.
Mir hängt die Zunge bis zum Knie, aber der Kampfgeist ist geweckt und der
andere kann ja wohl nicht besser sein als ich! Also werden die Füße und Fäuste
immer und immer wieder durch die Luft geschmissen.
4,00 Stunden vorher, gegen 14:00 Uhr
Ob ich aufgeregt bin? Weiß ich nicht! Meine Knie sind weich,
der Bauch rumort und in meinem Kopf leuchten lauter grelle Farben, die eklige
Gefühle ausdrücken. Ich habe Mühe, den Sinn von Dirks einfachen Sätzen zu
verstehen: „…als zweite Kata wird vom Prüfer meistens eine Heian Kata gewählt,
die sind doch bei dir alle klar, oder?“
Aber Dirk, hätte ich am liebsten gesagt, ich mache jetzt seit 20 Jahren
Karate und die Heian-Katas haben wir bis zum Erbrechen geübt. Es kann aber nichts
schaden, die im Kopf nochmal durchzugehen … bereits bei der 2. Kata komme ich
ins Stocken. Yondan verwechsle ich mit Nidan, mitten in der Godan laufe ich Bassai
weiter … Das Gefühlschaos ist perfekt.
3 Stunden vorher, gegen 15:00 Uhr
Prüfungsbeginn für die Prüflinge zum Shodan. Die Zeit zieht
sich endlos hin, bis auch ich endlich an der Reihe bin. Jetzt kann ich endlich
zeigen, was ich seit Wochen intensiv geübt habe. Ich höre die Kommandos und
setze sie um. Zufrieden schaue ich anschließend zu Dirk hinüber, der mir
freundlich zunickt – kann also wirklich nicht so schlecht gewesen sein!
Im Kumite habe ich einen Partner, der nur unwesentlich
kleiner ist als ich und mich in den ersten Sekunden gleich mal zu Boden wirft.
Mist, das hätte nicht sein müssen! Die nächsten 3 Tsukis gehören mir und auch
mein genau platzierter Mawashi hätte ihm im Ernstfall eine schöne rote Wange
beschert. Ca. 3 Minuten Kampf vergehen, in denen mal der eine und mal der
andere punktet. Wir können beide zufrieden sein.
Letzte Disziplin: Kata. Die Prüfungsangst kommt mit
brachialer Gewalt zurück! Als ich mit einem weiteren Prüfling zusammen aufgerufen
werde, ist mein Kopf leer. „Jion!“ höre ich mich rufen und laufe wie
fremdgesteuert los. Mein Körper macht die einstudierten Bewegungsabläufe, aber
auf Feinheiten habe ich keinen Einfluss mehr. Mein Unterbewusstsein läuft sie immerhin
ohne Hänger und grobe Fehler. Ende der Kata und Verweilen, bis die zweite Kata
vom Prüfer angesagt wird: Heian Yondan. In meinem Kopf fängt es zum Glück wieder
an zu arbeiten. Wie ging die los? Ach ja, Hände fallen lassen und laaangsam
wieder heben. Was macht der andere? Das Gleiche – sehr gut. Jetzt bloß nicht
verlaufen … Schritt für Schritt. Was kommt als nächstes? Kiai, oder war der
schon? Weiß ich nicht. Was macht der andere? Immer noch das Gleiche, also
scheine ich noch richtig zu sein. Ende! Geschafft! Wie? Weiß ich nicht mehr. Das
war die schlimmste Vorführung meines Lebens, sagt mein vernebeltes Gehirn.
Jetzt heißt es warten bis die Ergebnisse ausgerufen werden. Kihon und Kumite
habe ich bestimmt bestanden, aber Kata? Die war grottenschlecht, sagt mir mein
Gefühl. Was, wenn ich durchgefallen bin? Wem muss ich das alles erklären? Dass ich Prüfung mache, haben über die
Vorbereitungszeit mehr Leute mitbekommen als mir lieb ist. Sogar im Büro wissen
alle Bescheid. Wie stehe ich denn da, wenn ich sagen muss…
Endlich in einer Linie wieder antreten. Ohta verliest die
Namen: „…,Danilo Kjuhn-passed Nidan,…“
P.S.: Vielen Dank an alle, die mich bis zu diesem großen Ziel
unterstützt haben! Ganz besonderer Dank gilt natürlich meiner Familie und:
Jens – Meinem Lehrer, der mich
seit vielen Jahren trainiert und verbessert und hoffentlich noch für sehr lange
Zeit mein Lehrer bleibt!
Roald – Mit seiner unnachgiebigen japanischen
Trainingseinstellung!
Johannes – Mit seinen schnellen und langen Armen und Beinen als
der perfekte Kumitepartner!
René – Mit seiner optimistischen Art und seiner
mitreißenden, eng mit dem Karate verbundenen Lebenseinstellung!
Allen Trainingsfreunden meines Dojos Fujinaga, die nicht
müde geworden sind, meine Jion wieder und wieder anzusehen und mir wichtige
Hinweise zur Verbesserung gegeben haben!
Und natürlich: Thomas Frommer und Dirk Leiding,durch deren
Hilfe und Zuspruch die Prüfung bei Ohta Sensei erst möglich wurde!
Anmerkung des Blogmasters: Noch einmal Gratulation und Tausend Dank für diesen genialen Bericht Danilo ;)