Wie ihr vielleicht wisst, hat es mich im Januar wieder dienstlich nach Japan verschlagen, genauer gesagt nach Osaka und Tokyo. Trotz vollem Terminplan, erfahrungsgemäß langer Arbeitstage und kurzer Nächte, packte ich meinen
gi voller Zuversicht und in dem Glauben ein, vielleicht doch ein oder zwei Trainingseinheiten absolvieren zu können.
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"Werbung in eigener Sache" vor Tokuno Senseis Haus |
Aufgrund kurzfristiger Planänderungen überkamen mich zwischenzeitlich Zweifel, ob ich diesmal überhaupt auch nur einen Fuß in ein Dôjô setzen werde, aber am Ende gelang es mir doch, einen Abend in Osaka frei zu bekommen. Nachdem ich mich nach getaner Arbeit am späten Nachmittag von meinen Geschäftspartnern verabschiedete, machte ich mich nach einem kurzen Zwischenstop im Hotel auf den Weg in den Stadtteil
Matta.
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Der Eingang zum Dôjô, das sich in einem kleinen, unscheinbaren Gebäude befindet |
Von der Halteste
Tokuan bis zum Dôjô sind es nochmal knapp 20 Minuten Fußweg durch verwinkelte Straßenzüge zwischen Wohnhäusern, kleinen Geschäften und Getränkeautomaten. Trotz aller Eile kam ich mit 25 Minuten Verspätung im Dôjô an, wo mich Tokuno Sensei sichtlich überrascht willkommen hieß. Er wusste zwar von meinem Plan ihn zu besuchen, aber es war nicht klar, ob ich es schaffen würde. Ohne Zeit zu verlieren, sollte ich mich umziehen und reihte mich nach einer kurzen Erwärmung ein. Nebem dem Sensei und seinem Sohn waren nur 5 seiner Schüler anwesend. So entschied Tokuno Sensei kurzerhand, selbst mit zu mischen.
Aus
shizentai sollten wir zunächst direkt
jôdan oi zuki in
zenkutsu dachi ausführen, wobei der Partner lediglich als Ziel diente. In den ersten 20 Durchgängen galt es,
oi zuki 10 Mal schnell nacheinander ausführen und zwar lang, mit voll zurück gezogener
hikite, moderater Stellung und
kime. Tokuno Senseis Sohn begann seine Fauststöße schnell und gezielt in meine Richtung abzufeuern und ich wollte es ihm gleichtun, wofür ich vom Sensei aber mehrmals ein "
yowai!!" (
zu schwach!) erntete. Alle Augen waren auf mich gerichtet, aber ich versuchte ruhig zu bleiben, mich zu konzentrieren und es besser zu machen.
Der Sensei widmete sich nun wieder den anderen. Im
Matta Shibu redet während dem Training eigentlich nur Tokuno Sensei. Die Wortmeldungen seiner Schüler beschränken sich im wesentlichen auf
oss!,
eeii! und Antworten auf Fragen, die der Sensei stellt
. Es ist also genau so, wie es sein sollte. Alle sind voll konzentriert und üben intensiv, die Atmosphäre ist leicht angespannt, ohne das man sich dabei unwohl fühlt.
Aber zurück zur Übung. Tokuno Sensei wollte deutlich sehen, wie wir Oberkörper und Arme durch "Eindrehen" (
nejire) der Hüfte von
shomen zu
hanmi in der Startphase in Position bringen und dann mit starkem Abdruck des hinten Beines mit
oi zuki nach vorne schießen. Der Kraftschluss ausgehend von der Ferse des hinteren Fußes bis in die Faust stand im Mittelpunkt und je länger wir übten, desto mehr stellte ich meine eigene Technik in Frage.
Als nächstes sollten wir
chûdan oi zuki als starke Einzeltechnik aus
shizentai gegen den Partner ausführen. Tokuno Sensei ermahnte mich, die Ferse hinten auf dem Boden und den Schwerpunkt von Anfang an tief zu lassen, wobei ich eigentlich dachte, dass dem so wäre. Mir ließ das keine Ruhe, also wiederholte ich diese Übung dann nachts im Hotel vorm Spiegel... leider mit dem selben Ergebnis, was aber auch an den Bierchen gelegen habe kann.
Auf die gleiche Art und Weise führten wir
chûdan gyaku zuki durch. Offen gesagt lässt mich besonders diese Übung immer sehr demütig werden. Sie sieht zwar einfach aus und oft fühlt sich
gyaku zuki dabei sogar stark an, aber damit die Technik wirklich ihre volle Wirkung entfalten kann und nicht nur auf der Plauze des Gegners verpufft, gilt es eine Menge zu beachten: das Absenken des Schwerpunkts und die gleichzeitige Gewichtsverlagerung nach vorne in
hanmi, die explosive Entladung der in Unterkörper, Hüfte und Oberkörper aufgebauten Energie durch die Extension der Stellung und den Wechsel von
hanmi zu
shomen, die Position des Ellbogens des Stoßarms, das schnelle Zurückziehen der
hikite, das Gefühl, mit dem ganzen Körper konzentriert auf einen Punkt im Ziel einzuschlagen usw. usw. usw... ihr wisst, was ich meine, oder!? (- -;)
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Erinnerungsfoto nach dem Training |
Im Anschluss sollten wir in einer Art
gohon kumite unseren Partner mit
chûdan mae geri angreifen, worauf dieser zurückwich, ggf. mit
nagashi uke den Fußtritt parierte und anschließend mit
gyaku zuki konterte. Hier standen der flüssige Richtungswechsel und schnelle Gewichtsverlagerung im Mittelpunkt. Geschmeidige Beinarbeit, schnelle Reflexe und ein gutes Auge sind wichtig, um rechtzeitig und nur so weit wie nötig dem Angriff auszuweichen, um dann sofort mit passender
maai den eigenen Konterangriff auszuführen. Zu meiner Überraschung war das die einzige Übung an diesem Abend, die mir halbwegs vernünftig gelang.
Nach einer kurzem Atempause befahl Tokuno Sensei dann "
René, Tekki Shodan!". Ich stand also zuerst alleine in der Mitte des kleinen Dôjô und kam noch nicht mal bis zur 3. Bewegung, da wurde ich schon auf meine schwache Performanz hingewiesen. Einige Erklärungen und viele Wiederholungen später, übten dann wieder alle zusammen. Ich war angespannt und versuchte, meine
kiba dachi zu verbessern, die
morote uke zur Seite schärfer auszuführen und überhaupt eine irgendwie überzeugende Darbietung zu geben.
Schon war die Trainingseinheit vorbei. Die Dôjôkun verklang, das Dôjô wurde gewischt und wieder mit Tischen bestückt. Ich verabschiedete mich und folgte Tokuno Sensei zu dessen Haus, von wo er mich zusammen mit seiner Frau durch halb Osaka mit dem Auto zurück in mein Hotel brachte. Im Vergleich zum Training war es eine heitere Fahrt in gelöster Atmosphäre.
Je länger man Karate praktiziert, desto mehr Vertrauen entwickelt man in seine eigenen Fähigkeiten. Diese stellt man regelmäßig in der Übung im Dôjô oder bei Wettkämpfen auf die Probe, mal mehr und mal weniger überzeugend. Unterrichtet man andere, ist es nicht nur wichtig, seine Fähigkeiten überzeugend und in bester Form zu demonstrieren oder seinen Schülern zu helfen, ihre eigene Form zu verbessern. Es is wichtig, bescheiden zu bleiben, zu reflektieren, seine Fähigkeiten zu überprüfen und Schlüsse auf sein eigenes Karate zu ziehen. Wenn man will, findet man auch in der einfachsten Übung etwas, dass man besser machen kann. Die fälschliche Annahme etwas bereits "zu können", führt zu Bequemlichkeit und oft auch zu Nachlässigkeit. Doch wer die Grundlagen vernachlässigt, um sich den scheinbar höheren Aspekten der Kunst zu widmen, läuft Gefahr, dass das Fundament seines Könnens zerbricht und ohne solides Fundament ist eine Weiterentwicklung unmöglich. Das ist keine neue Erkenntniss, den wie wir wissen, hat uns bereits Funakoshi Sensei dazu ermahnt, Karate mit heißem Wasser zu vergleichen, dass (durch beständiges - aber nicht stupides - Üben) am kochen gehalten werden muss. Genau dieser Punkt wird mir bei Tokuno Sensei immer wieder sehr bewusst und motiviert mich aufs Neue. Darum bin ich ihm und allen meinen Mentoren zutiefst dankbar, das sie diesen Geist und ihr Wissen mit mir teilen.
Danke an Tokuno Sensei für seine Geduld und Herzlichkeit. Ich freue mich auf unser nächstes Wiedersehen im November!
OSS